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Für seine Rolle in der gleichnamigen Serie gewann Bjarne Mädel gerade einen Grimme-Preis. Dirk Plähn arbeitet wirklich in diesem Beruf.

"Wenn es nach Schwimmbad riecht, ist sein Job erledigt. Manchmal braucht Dirk Plähn drei Stunden, manchmal vier Tage. Dabei benutzt er meist zwei verschiedene Chemikalien, etwa ein halbes Dutzend Fingernagelbürsten, ein Teppichmesser, Standard-Reinigungsmittel, fünf unterschiedliche Desinfektionsmittel, mehrere Papierrollen, blaue Einwegtonnen für infektiösen Abfall, eine Sprühflasche mit Geruchsneutralisator, manchmal auch einen Schlagbohrhammer oder Nasssauger.

Dirk Plähn aus Barsbüttel ist Tatortreiniger. Er wird gerufen, wenn ein Mord begangen wurde, eine Leiche wochenlang in der Wohnung lag oder sich ein Mensch die Pulsadern aufgeschnitten hat. Dann fährt Plähn mit seinem weißen Transporter vor und legt los. So wie der Schauspieler Bjarne Mädel als "Schotty" in der NDR-Serie "Der Tatortreiniger", die gerade einen Grimme-Preis gewonnen hat. Ja, er kenne die Serie, sagt Dirk Plähn. Und ja, auch ein echter Tatortreiniger kann sich köstlich darüber amüsieren. Aber authentisch sei nicht alles. "Ich würde zum Beispiel nie ein Butterbrot vor Ort essen."

Im weitesten Sinn hat Plähn sogar etwas zur Fernsehserie beigesteuert. 2010 wollten sich Regisseur Arne Feldhusen und Vicky von Minckwitz, zuständig für die Requisite, mit Hamburgs echtem Tatortreiniger treffen, um sich Tipps zu holen. Um zu erfahren, wie die Arbeit von Menschen wie Plähn in der Realität aussieht. "Ich habe ihnen einfach von meinem Alltag berichtet", sagt Plähn und zuckt mit den Schultern.

Vor rund zwei Jahren hat sich der Single mit seinem Ein-Mann-Unternehmen "Tatortreinigung Nord" selbstständig gemacht. Rund 100 Aufträge hat er seitdem gehabt und noch keinen Fall abgelehnt: "Es gibt nichts, was ich nicht reinige." Muskulös, grau meliertes Haar, kräftige Hände, markantes Gesicht, Hamburger Kodderschnauze - Dirk Plähn sieht nicht so aus, als könne ihn ernsthaft etwa abschrecken. Bei der Arbeit schützt sich der 43-Jährige mit einem Chemikalienschutzanzug, Gummistiefeln, für Bakterien und Viren undurchlässigen Handschuhen und einer Atemschutzmaske.

Gerufen wird er meistens von Angehörigen. In etwa 20 Prozent seiner Fälle reinigt er die Wohnung eines Selbstmörders, in 70 Prozent sind es Wohnungen, in denen ein Verstorbener mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate gelegen hat. "Meistens waren das alte und sehr einsame Menschen", sagt Plähn. "Das gibt es heutzutage leider immer häufiger." Nachbarn haben irgendwann einen unangenehmen Geruch im Treppenhaus bemerkt. Oder Verwandte wundern sich, dass Angehörige sich seit Wochen nicht gemeldet haben. Erst dann wird die Polizei alarmiert, wird die Wohnung aufgebrochen. Bei einer langen Liegezeit in ungekühlter Umgebung entstehen Zersetzungsprozesse im Leichnam, der Körper löst sich regelrecht auf. Übrig bleibt ein rotbraunes flüssiges Gemisch, das aus dem Leichnam austritt. Plähn reinigt den Fußboden, reißt Teppiche raus, schlägt den Estrich auf, desinfiziert alles.

So wie im Fall des 120 Kilo schweren Mannes, der sich in seiner Wohnung erhängt hatte und erst nach Wochen gefunden wurde. Er konnte nur noch anhand seiner Zähne identifiziert werden. "Die Wohnung zu betreten war wie eine Wattwanderung", sagt Plähn. Das klingt makaber, ist aber nicht so gemeint. Plähn weiß, dass sein Job Tabuthemen berührt. Plähn sieht und riecht Dinge, die man in einer Fernsehserie natürlich nicht sieht und riecht. Er ist damit konfrontiert, was am Ende eines Lebens übrig bleibt. Er muss versuchen, zu den Lebens- und Todesumständen der Menschen eine professionelle Distanz zu wahren. Aber ihm ist wichtig, mit den Toten respektvoll und pietätvoll umzugehen.

Manchmal sind die Tatorte selbst für Polizisten ein harter Anblick. Sein jüngster Fall: Eine junge Frau hat sich in ihrer Wohnung in Altona umgebracht, im Badezimmer, mit einem Messer. Schon als er die Wohnungstür morgens öffnet, blickt Plähn als Erstes auf blutige Fußspuren. Kleine rote Spritzer sind auf der weißen Wand zu erkennen. Harmlos im Gegensatz zum Bad, in dem alles rot gesprenkelt ist. Auf dem Boden ist eine große eingetrocknete Blutlache. Plähn nimmt alles in Augenschein und beginnt im Flur mit dem Säubern. Eine Routineaufgabe ohne besondere Schwierigkeiten, "weil das Blut erst eine Woche alt ist". Auf Knien rutschend - "so verbringe ich 90 Prozent meiner Arbeit" - sprüht er eine Chemikalie auf die Blutspuren, die sich sofort in weißen Schaum verwandelt. Mit einer Nagelbürste schrubbt Plähn akribisch die Fliesen und Fugen, wischt das gelöste Blut mit einem Papiertuch weg. Diesen Vorgang wiederholt er mehrmals. Nicht der kleinste Fleck darf zurückbleiben.

Im Durchschnitt dauert ein Auftrag fünf bis sechs Stunden, "wenn es nur eine Oberflächenreinigung ist und beispielsweise keine Fliesen entfernt werden müssen, weil das Blut unter den Fußboden gelangt ist". Die Arbeitszeit hängt davon ab, wo der Tote gestorben ist und wie lange der Leichnam schon gelegen hat. "Im Bett wird viel gestorben. Und auf der Toilette."

Eine weitere Erkenntnis von Plähn: "Blut ist dünner als Wasser." Es sucht sich offenbar seinen Weg, bevor es trocknet. Plähn kennt Blut in allen Zuständen von flüssig bis festgetrocknet, "so fest wie Pattex". Erst einmal habe er von Blut geträumt, sagt er. "Ein Albtraum: Alles war rot getränkt." Aber diese Nacht sei die Ausnahme gewesen.

Als psychische Belastung empfindet Dirk Plähn seine Arbeit nicht, sagt er. Vielleicht liegt das an seiner religiösen Einstellung. Plähn ist Buddhist. Angst vorm Sterben habe er nicht: "Ich glaube, dass ich wiedergeboren werde." Er glaubt auch, dass es nicht nur den Angehörigen, sondern auch dem Toten hilft, wenn die Wohnung wieder sauber ist. Deshalb geht er höchst penibel vor. Nicht der kleinste Blutspritzer soll noch zu sehen sein, wenn er mit einem Tatort fertig ist. "Wenn eine Putzfrau ein Staubkorn übersieht, ist das nicht so dramatisch", sagt Plähn, "aber wenn ich einen Tropfen Blut übersehe, kann das für die Hinterbliebenen des Toten traumatisch sein." Deshalb empfindet er es auch als Beleidigung, wenn er hört, er verdiene mit Putzen sein Geld. "Ich reinige , ich putze nicht."

Oft ist er mehr als nur ein Tatortreiniger. "Manchen Angehörigen ist es ein Bedürfnis, mir von dem Verstorbenen zu erzählen." Plähn ist geduldig, er findet in solchen Situationen die richtigen Worte. Aber er lässt die Geschichten über den Verstorbenen nicht zu nah an sich ran. "Würde ich das Ganze zu sehr aufsaugen, würde ich vermutlich verrückt." Von dem Toten möchte er nichts wissen. Weder den Namen noch Beruf oder Hobbys. Fotos, die er in den Wohnungen sieht, dreht er um, bevor er mit der Arbeit beginnt.

An einen Fall allerdings muss er auch heute noch manchmal denken und hat dabei das Gesicht einer Toten vor Augen. Anfang September 2011 wurde eine 23-jährige Amerikanerin im Hotel Fürst Bismarck in St. Georg ermordet. 180-mal hatte der Täter, ein Grieche, mit einem Schweizer Taschenmesser auf die Studentin eingestochen. Als das Hotel bei Plähn anrief und ihn beauftragte, die blutigen Spuren in dem von der Polizei freigegebenen Hotelzimmer zu entfernen, hatte er schon im Radio von dem Fall gehört. Im Bad fand er dort eine dunkle Locke der hübschen Studentin, ihr Foto und ihre Geschichte waren durch die Presse gegangen. "In solchen Momenten wird es persönlich." In solchen Momenten muss auch Plähn, der schon vieles gesehen hat, kräftig schlucken. "Als ich einen Fußabdruck von ihr entdeckt habe, musste ich daran denken, was das Mädchen in den letzten zehn Minuten seines Lebens wohl durchgemacht haben muss."

Die Idee zu seinem Beruf kam dem 43-Jährigen bereits vor sechs Jahren. "Ich hatte etwas über Tatortreiniger in den USA gelesen und überlegte, wer das eigentlich in Norddeutschland macht." Knapp vier Jahre später absolvierte der gelernte Energieanlagenelektroniker eine Ausbildung zum staatlich geprüften Desinfektor, tauschte sich mit künftigen Kollegen aus Deutschland aus, begann mit verschiedenen Chemikalien zu experimentieren und gründete seine Firma ( www.tatortreinigung-nord.de ).

"Ich habe mir vom Schlachter Blut geholt und auf verschiedenen Oberflächen getestet: auf Fliesen, Teppich, Holz." Zuvor war Dirk Plähn als EDV-Reiniger tätig gewesen - "mit Bakterien und Viren hatte ich also schon zu tun". Den Anblick von Blut ertrug er anfangs nur schwer. Heute ist Blut fast etwas Abstraktes für ihn. Wenn er es entfernt, versucht er, sich auf die Arbeit zu konzentrieren und an etwas anderes zu denken. "Zur Ablenkung schalte ich manchmal auch das Radio an."

Plähn kann sich noch gut erinnern, wie es war, als er seinen Eltern das erste Mal von seinen neuen Berufsplänen berichtete. "Meine Mutter war geschockt", sagt er. "Du hast nicht alle Latten am Zaun", hätten die Eltern zu ihm gesagt. Inzwischen frage ihn die Mutter häufig, was er bei der Arbeit erlebt habe. Auch die Freunde hätten sich an seinen ungewöhnlichen Job gewöhnt. Und die Frauen? Schreckt es sie nicht ab, dass Dirk Plähn ständig mit dem Tod zu tun hat? "Nein, im Gegenteil. Die Damen sind immer sehr interessiert." Sie fänden seine Arbeit aufregend.

Tatorteiniger zu sein ist kein Abenteuer, sondern ein ernster Job, der auch viel Unangenehmes mit sich bringt. Zum Beispiel üble Gerüche. Wenn er den Geruch von Tod beschreiben soll, spricht Plähn von einem warmen Nebel, einem schweren, süßlichen Geruch, bestialischem Gestank, bei dem sich die meisten Menschen übergeben müssen. "Es ist der schlimmste Geruch, den ich kenne." Gewöhnen wird er sich nie an ihn. Nachdem er den Tod das erste Mal gerochen habe, sei es ihm monatelang unmöglich gewesen, die Schokolade einer bestimmten Marke zu essen, weil ihn der Geschmack daran erinnerte.

Trotz alledem mag Plähn seinen Beruf. Für ihn sei es sogar ein "Traumjob", sagt er: "Weil ich den Menschen viel Leid und Kummer abnehmen kann." Dafür sind ihm die Angehörigen der Toten sehr dankbar. "Ohne Ihre Unterstützung und die wirklich hundertprozentige Arbeit, die Sie geleistet haben, hätten wir überhaupt nicht gewusst, was wir tun sollen", schreibt ein Auftraggeber in einer Danksagung. Hinterher hat es wieder nach Schwimmbad gerochen. Dirk Plähns Job war erledigt.

 

Link zum Hamburger Abendblatt: von Beruf Tatortreiniger

 

Bericht mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung
vom Hamburger Abendblatt als PDF: Beruf Tatortreiniger